Lehrveranstaltung

Geführte und nicht geführte Strafprozesse

 Seminar im SS 2024

Behandelt werden wichtige Strafverfahren, in denen vor allem die Frage im Vordergrund steht, wie es gekommen ist, dass sie stattfanden bzw. warum sie nicht stattfanden. Grundsätzlich besteht in der Strafrechtspraxis ein Zwiespalt. Oft oder meist ist etwas strafbar (Ergebnis nach Gutachten), selten wird wegen des Verdachts angeklagt. Dieser Weichenstellung gilt das Thema.

Zum Ablauf:
Mündlich soll ein 10-15minütiger Impuls vorgetragen werden, für eine schriftliche Ausarbeitung ist Zeit bis zum 31.3.2024.
Literaturempfehlung: Annika Klein, Korruption und Korruptionsskandale in der Weimarer Republik, 2014.

Beginn: Mi 17.04.2024, 16 – 18 h, Teilnehmerbeiträge wöchentl. mittwochs

1. Was ist ein hinreichender Tatverdacht i.S.d § 170 StPO? Wieviel Tatsachen- und wieviel Rechtsfragen stellen sich dabei?
Seit den Strafrechtsreformen der 1970er Jahre gibt es eine Fülle von Einstellungsmöglichkeiten, sodass der Grundsatz gilt: Der Angeklagte mag strafbar sein, aber bestraft wird er nicht. Die prozessualen Grundlagen und einige Beispiele sollen erörtert werden in:

2. Die Einstellung des Strafverfahrens nach §§ 153, 153 a

3. Die Verurteilung von Rosa Luxemburg durch das Landgericht Frankfurt a.M. 1914 
Im Oktober 1913 trat Rosa Luxemburg in sozialdemokratischen Parteiversammlungen in Frankfurt a. M. auf. Sie hielt eine wiederkehrende Rede, in der sie sich mit der Einführung eines Milizsystems beschäftigte und in diesem Zusammenhang über die dann auszuhändigenden Waffen sagte, sie könnten auch einmal in einer nicht gewünschten Richtung gebraucht werden. Dabei befasste sie sich mit der Möglichkeit eines bevorstehenden Weltkrieges und richtete an die Zuhörer die Frage: „Werden wir uns einen Krieg ungestraft gefallen lassen?“ Einige Zuhörer riefen „Niemals“, und die Angeklagte äußerte dann den berühmt gewordenen Satz: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffe gegen unsere französischen Brüder zu erheben, dann rufen wir: Nein, das tun wir nicht.“ 

4. Der nicht geführte Strafprozess gegen den Reichspräsidenten v. Hindenburg in den Jahren 1931/32
Reichspräsident von Hindenburg hat am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, nachdem er es noch wenige Tage zuvor kategorisch abgelehnt hatte, den „österreichischen Gefreiten” mit der Kanzlerschaft zu betrauen. Was bewirkte den Meinungsumschwung? Hindenburg war Ende 1932/Anfang 1933 persönlich massiv unter Druck geraten. Zum einen war bekannt geworden, dass Hindenburg Gut Neudeck, das die deutsche Industrie ihm geschenkt hatte, zur Vermeidung von Erbschaftsteuer auf seinen Sohn Oskar von Hindenburg übertragen hatte. Zum anderen nahmen Vorwürfe Fahrt auf, Hindenburg habe durch persönliche Interventionen zu Gunsten von Familienangehörigen und Freunden bei der Verschiebung von Vermögen im Rahmen der sogenannten Osthilfe, einem von Hindenburg initiierten breitangelegten Subventionsprogram, mitgewirkt. Die Untersuchungen des Rechnungshofes zu den fehlgeleiteten Subventionen waren abgeschlossen, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Reichstags begann seine Arbeit. Nach der Machtergreifung wurden die Ermittlungen eingestellt, die Akten des Rechnungshofs verschwanden. Die NS-Regierung stellte Gut Neudeck steuerfrei. Hindenburg baute Hitler als seinen Nachfolger auf.

5. Die Mescalero-Affäre
Im Jahre 1977 schrieb Klaus Hülbrock (der sich erst viel später, nämlich 2001 namentlich enttarnt hat) nach der Ermordung des damaligen Generalbundesanwalts Siegfried Buback einen Artikel in einer Göttinger Studentenzeitung. Er benutzte dabei das Pseudonym „Mescalero“, das der nachfolgenden Affäre den Namen gab. Unter der Überschrift „Buback – ein Nachruf“ war im 2. Abs. beispielsweise zu lesen: „Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit‘ nach dem Abschuss von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.“ Die Redakteure der Zeitschrift wurden wegen Verunglimpfung des Staates (§ 90 a StGB) verurteilt (BGH Urt. v. 30.01.1979, KJ 1979, 313), über 100 weitere Ermittlungsverfahren wurden geführt, und es wurde Anklage erhoben gegen eine Gruppe von Hochschullehrern, die den gesamten Artikel erneut veröffentlichten, weil sich die öffentliche Erregung auf lediglich vier Zeilen daraus konzentrierte. Die Herausgeber dieser Wiederveröffentlichung sind – soweit das Verfahren nicht zuvor eingestellt worden ist, das heißt in 14 Fällen – vom LG Oldenburg schließlich freigesprochen worden, die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen Verunglimpfung des Staates, des Andenkens Verstorbener, der Volksverhetzung und Beleidigung erstrebte, wurde mit Urteil des BGH vom 26. Februar 1980 – 5 StR 621/79 – verworfen..

6. Die Verurteilung von Karl Helfferich durch das Landgericht Berlin 1920
Der frühere Staatssekretär Helfferich warf dem damals amtierenden Reichsfinanzminister Erzberger in einem Pamphlet Verstöße “gegen die Wohlanständigkeit, gewohnheitsmäßige Unwahrhaftigkeit und die Verquickung persönlicher Geldinteressen mit dem politischen Amt vor”. Er wurde zwar wegen Formalbeleidigung und übler Nachrede zu einer Geldstrafe verurteilt, aber die Strafkammer stellte zulasten des Opfers fest, Erzberger fehle die Wahrhaftigkeit. Er war politisch ruiniert.
Lit: Cord Gebhardt: Der Fall des Erzberger-Mörders Heinrich Tillessen. Tübingen 1995, Annika Klein: Hermes, Erzberger, Zeigner: „Korruptionsskandale in der Weimarer Republik“, in: Kristin Bulkow, Christer Petersen (Hrsg.): Skandale. Strukturen und Strategien öffentlicher Aufmerksamkeitserzeugung. Wiesbaden 2011, 54.

7. Die CDU-Schwarzgeld Affäre nach 2000
Einstellung gegen Helmut Kohl wg. Nichtangabe von Spenden
LG Bonn NStZ 2001, 375; dazu kritisch etwa Saliger, GA 2005, 155 und Beulke/Fahl, NStZ 2001, 426
b) Verurteilung Manfred Kanther
Der frühere hessische Innenminister und Schatzmeister der CDU, Manfred Kanther, hatte für die CDU Schwarzgeld in Liechtenstein angelegt und nach Bedarf und eigenem Gutdünken für parteibezogene Aktivitäten abgezogen, was wiederum Strafzahlungen an den Bundestag zur Folge hatte, weil diese Beträge in den Rechenschaftsberichten nicht richtig verbucht waren und die Bundespartei staatliche Mittel zur Parteienfinanzierung in Höhe von 41 Mill. DM zurückzuzahlen hatte. Der BGH hat mit Urteil v. 18. Oktober 2006 (BGHSt 51, 100) die Verurteilung wegen Untreue teilweise aufgehoben. Am Ende stand eine Geldstrafe.